Depressionen....hab ich, wer noch?

  • Nach Rücksprache mit Kuzze hab ich das Thema hier hin gesetzt und ich weiss, die Überschrift ist vielleicht auch blöde, aber jeder fängt mal an.


    Ich habe schon länger darüber nachgedacht, so ein Thema zu eröffnen, denn es gibt genug Menschen, auch hier, die es etwas angeht. Der Hintergrund ist folgender: Letztes Jahr habe ich im Thread "Wie Covid mein Leben verändert hat" (oder so ähnlich) geschrieben, das bei mir eine Depression bzw. eine depressive Phase diagnostiziert wurde. Wahrscheinlich habe ich das schon sehr lange. Ich habe meinen Sohn reaniemiert, da war er 6 Monate alt und das ist schon 20 Jahre her. Dann immer mehr Stress im Job (Krankenpfleger) und auch im privaten Bereich mit Trennung und spätere Scheidung. Zwischen durch konnte ich das immer mal wieder gut kompensieren, weil ich einen guten Freundes- und Bekanntenkreis habe. Zwischendruch immer mal wieder auf Konzerte gehen konnte oder zum Fussball. Und dann kam dieser miese Virus. Nichts ging mehr. Man sitzt zu Hause, grübelt nur noch oder sitzt auf der Couch und fängt nur noch an zu weinen. Es geht einfach nicht weg, man kommt nicht hoch, auch wenn man weiss, das man (dringend) Hilfe braucht.


    Man bekommt in dem Sinne keine Hilfe, weil die ganzen Therapeuten und Psychologen sowas von voll (Termine und nicht getränkemässig) und es keine Termine gibt. Man hat das Gefühl, man steht nur noch alleine da. Im Familienkreis gibts Menschen, die nicht verstehen, was in einem vorgeht ("Lach doch mal" oder "Ist ja nicht so schlimm" oder sogar "Na, haste dich beruhigt?"). Eigentlich soll bzw. muss man nur noch funktionieren und irgendwann klappt es nicht mehr. Bei mir ist es so gewesen, das ich dann doch die 116 117 angerufen habe. Dort habe ich einen Termin bekommen. Zwar in Bottrop, ich wohne in Wattenscheid und es sind ca 25 Minuten Fahrzeit, aber das war mir dann egal....Hauptsache Hilfe. Ich hab es nicht bereut.


    Es gibt zwischen durch immer wieder Tage, da läufts nicht, so schlechte Tage. Ich hätte nicht gedacht, das ich sowas auch mal sage: "Ich habe einen schlechten Tag." Es ist die Arbeit oder auch bei meiner Freundin, die hat es schwerer erwischt, wenn man das so sagen kann und darf. Zum Glück hab ich verständisvolle Kolleginnen oder auch Freunde und Bekannte und -innen, die einen auch etwas auffangen, auch wenn das nicht deren Aufgabe ist. Und zwischendurch auch das Gefühl habe, diese nicht immer belästigen zu wollen.


    Um auf den Thread zurück zu kommen....es gab dann doch, für mich jedenfalls, überraschender Weise ein relativ grosses Echo. Vielleicht kann man unter diesem Thema Erfahrungen austauschen. Es soll kein "ich bin kränker als wie du" sein. Vielleicht kann man Hilfestellungen geben, Fragen beantworten, soweit es geht. Denn auch gerade in dieser Zeit, nicht nur mit dem Virus sondern auch mit dem miesen Wetter der letzten Wochen, ist es gut, wenn man doch Menschen findet, denen es wie einem selber geht. Oder vielleicht gibts ja jemanden, der nur mit liest, aber dadurch die Motivation bekommt, doch etwas zu unternehmen. Und auch das wäre ein Erfolg. Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn das Thema angenommen wird. Danke für die Aufmerksamkeit und einen schönen Sonntag noch.... :cool2:

    UP THE GAS....


    Schlachtruf des Bristol Rovers FC, dessen Stadion neben einer Lachgasfabrik stand, die auch mal Hauptsponsor waren. :D

  • Schwieriges Thema was du da angehst, aber dir erstmal alles Gute dabei.


    Ich glaube man muss in der heutigen Gesellschaft einfach eben nur funktionieren, nach den Rest - also wie es in den Leuten aussieht - frägt einfach keiner mehr. Bis es bei den einen oder anderen zu spät ist. Corona wirkt da meiner Meinung nach nur noch praktisch Linse im Sonnenschein.

    24.09.2012 - 08.12.2012

    Danke an Wayne Simmonds (Philadelphia Flyers, 9 Spiele, 4 Tore, 10 Assists), Chris Stewart (St. Louis Blues, 15 Spiele, 6 Tore, 14 Assists) sowie Clarke MacArthur (Toronto Maple Leafs, 8 Spiele, 4 Tore, 6 Assists) im Trikot der Eispiraten Crimmitschau

  • Ich kann mich dem Kater nur anschliessen, dieses Forum ist wohl einmalig.

    macwat : Ich finde es toll, daß du die Kraft hast und in die Offensive gehst, Hut ab! Ich habe deine Beiträge im Corona-Thread gelesen und eigentlich fast immer überlegt, wie lächerlich meine kleine Problemchen bei der Arbeit sind. Was ihr (nicht nur seit zwei Jahren) leistet, ist echt nicht mit Geld zu bezahlen. Ich freue mich, daß du um Hilfe gerufen und sie auch bekommen hast, ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute. :)

    Im Moment scheint es mir aber, dass es vielen Menschen reicht, wenn es den anderen schlechter geht. Dass sie sich dann besser fühlen. Und das ist eine ganz schlimme Tendenz. Da fängt Faschismus an.


    Hape Kerkeling

  • Alles Gute macwat


    Ich kann das als Betroffener sehr gut nachvollziehen. Ich habe 2010 meinen realen Freundeskreis verloren und dadurch "nur" noch Zeit mit Familie und Onlinefreunden verbracht, was mir nicht gut tat. 2015 starb meine Mutter und das hat mir so einen Knacks gegeben, dass ich mir dann 2017 Hilfe gesucht habe. Nach zwei verschiedenen Ärzten und auftretenden Panikattacken bin ich dann 2019 für zehn Wochen in eine Tagesklinik gegangen, was für mich wirklich die beste Entscheidung der letzten Jahre war. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen bzw. erlebt, dass es anderen auch so geht und wieder reale Freunde gefunden, was bis heute hält. Dann hatte ich ein Riesenglück, dass ich Freitags aus der Tagesklinik entlassen wurde und durch eine Absage am Mittwoch drauf einen Vorstellungstermin bei meinem heutigen Psycho-Therapeuten hatte. Die Behandlung dauert auch noch weiterhin, da durch Corona der Punkt "soziale Kontakte finden", eben wegfällt.


    Es gibt immer mal wieder schwere Tage, wo mir absolut nichts gelingt und ich dann irgendwann merke, dass ich nichts mehr schaffe an dem Tag, weil ich keinen Antrieb habe. Kann auch mal mehrere Tage am Stück sein, wenn Feiertage oder besondere Daten anstehen. An solchen Tagen kommen so Sprüche wie "Stell Dich nicht so an" oder "Du hast doch nichts" immer besonders gut.

    Interesse an Datenbanken/Statistiken zum Fußball in den Niederlanden? Einfach fragen. ;)

  • :rotate: - Das als allererstes!

    Ja, es ist nicht leicht über seine "Schwächen" zu reden. Erst recht, weil das Thema wirklich in unserer Gesellschaft immer noch teilweise ein Tabu ist. Als sich Robert Enke damals das Leben nahm dachte ich, das vielleicht in Zukunft dem Thema mehr Aufmerksamkeit gewidmet würde. Leider war man damals noch nicht so weit. Gott sei dank treten heute immer mehr Menschen (so wie du) auch bekannte Persönlichkeiten vor und gehen das Thema an. Das so etwas von wichtig!

    Nur wer akzeptiert, das man mit etwas ein Problem hat, kann eine Bereitschaft dafür entwickeln etwas ändern zu wollen. Du nimmst den Weg auf Dich - Nochmal Respekt dafür und viel Kraft das durchzuhalten. Es wird nicht immer leicht sein und wahrscheinlich wird es Rückschläge geben. Wenn wir hier können - wir sind an Deiner Seite. Auch wenn das vielleicht nur auf diesem unpersönlichen Wege ist.

    DU BIST NICHT ALLEIN!


    Und ja, ich bekenne mich auch offen dazu. Bei mir sind es nur depressive Phasen. Aber ich weiß davon und ich habe mir auch Hilfe gesucht.


    NEVER GIVE UP!

    Gendern ist, wenn der Sachse mit dem Boot umkippt

  • macwat :rotate: Was für ein Schritt.


    Ich folge seit Jahren dem http://www.verbockt.de Einem Blogger, der das Thema auch auf den Tisch bringt. Auch auf Twitter gibt es viele User, die sehr hilfreiche Beiträge bringen.

    Seit meinem völligem Zusammenbruch Mitte der 90er und zweier erfolgloser Therapien 2000er/2010er kämpfe ich mich zusammen mit meiner Borderline-Frau :herzregen: durch das "Leben".

    Das Problem ist, dass es keine Patentlösung für jemanden gibt. Jeder muss mehr oder weniger alleine durch die Dunkelheit und ich muss ehrlich sagen, dass dieses Forum mir wirklich hilft ein bißchen Licht in meine Dunkelheit zu bringen. Danke dafür.

    :*

    Dieses Forum ist wirklich unglaublich. :drink:

    Ich muss nicht „mehr vor die Tür“, ich muss gedanklich weniger vor den Zug.

    -Torsten Sträter- :umarm:

  • Dieses Forum ist wirklich unglaublich.

    habe das noch hervorgehoben!

    Gendern ist, wenn der Sachse mit dem Boot umkippt

  • "Jeder, den Sie kennen, kämpft in einer Schlacht, von der Sie nichts wissen." (Robin Williams)


    Das kann wohl jeder unterschreiben. Denn jeder kämpft eben auch in seiner eigenen Schlacht, von der die anderen nichts wissen. Manche merken nicht einmal, dass sie in dieser Schlacht sind. Einige halten den Kopf über Wasser, weil sie von Natur aus mit einer gewissen Widerstandskraft gesegnet sind. Andere glauben nur, sie hätten den Kopf noch über Wasser. Wieder andere sind untergegangen und finden sich damit ab. Und dann gibt es noch die, die zwar untergegangen sind, aber darum kämpfen, den Kopf wieder an die Oberfläche zu bekommen.


    Wie auch immer: Ich wünsche allen, die an der Front ihrer Schlacht stehen, von Herzen alles Gute.

    Never underestimate the power of self-denial.

  • Bei mir andere Geschichte, gleiches Ergebnis. Ich bin immer noch nicht so weit dass ich das Geschehene richtig in ein paar wenige Sätze zusammenfassen könnte, und werde das wohl auch nie sein. Von daher kann ich zu dem Thread hier auch nicht viel mehr beitragen als: Ich auch.

    Schwarz und Weiß, das sind unsere Farben...

  • Hervorragender Beitrag macwat ich fühle mit dir und werde mich auch gerne "demnächst" mal näher dazu äußern.


    Wie schmiddelfeld ganz richtig sagt, es gibt keine Patentlösung, das ist so individuell wie jeder von uns. Und (auch) deshalb für viele Menschen so schwer "greifbar". Ein Stück weit muss man diese Leute auch in Schutz nehmen, oft ist dieses "Na, geht's jetzt wieder" einfach nur Hilflosigkeit... Hilft dem Betroffenen aber halt auch nicht weiter.


    Dir/ Euch in jedem Fall alles Gute!

    "Denn anders als Arbeitsstelle, Lebenspartner oder Automarke ist der Lieblingsklub nicht austauschbar.

    Mit ihm ist der Mensch ein Leben lang verbandelt wie mit der eigenen Haut.

    Sie mag Falten kriegen, doch ablegen kann sie niemand. Selbst wenn man das manchmal gern möchte."

    (Lars Wallrodt)

  • Ja, zunächst einmal großen Respekt und Dank an macwat! Und vor allem gute Besserung!!


    Ich habe meine Geschichte mal vor ein paar Jahren im Gesellschaftsboard erzählt oder vielmehr kurz angerissen. Ich kenne diese Krankheit(en) leider auch nur zu gut.


    Letztendlich angefangen hat es bei mir mit 4 Jahren. Damals hatte ich eine schwere Hirnhautentzündung und war eigentlich mehr tot als lebendig. 1975 war so eine Erkrankung schon echt ziemlich scheisse.


    Am Ende habe ich es aber doch überlebt und irgendwann war es dann auch vergessen. Nie hätten wir in der Familie damit gerechnet, dass sich mein Leben eigentlich da schon für immer geändert hatte. Wenn ich aktuell mit der Gesundheit hadere, sagt meine Ärztin immer zu mir, Du warst nur 4 Jahre gesund und bist jetzt 50. So schlecht ist das doch gar nicht. Dann muss ich immer lachen, aber recht hat sie auch irgendwie.


    In der Pubertät fing es dann an, dass ich öfter Schmerzattacken bekam. In verschiedenen Bereichen des Körpers. Sehr selten, aber schon auch trotzdem regelmäßig. Auch in den folgenden Jahren. Naja, man wohnt am Ende der Welt und der Hausarzt tut es mit der besagten Pubertät ab. Man selbst aber auch.


    Anfang der Neunziger lebte ich in München und da machte ich zum ersten Mal mit den Folgen der Hirnhautentzündung Bekanntschaft. Dieser Zusammenhang war damals aber noch nicht bekannt. Ich kam von der Arbeit nach Hause und bekam plötzlich eine Panikattacke. Nur wusste ich in dem Moment nicht, dass es eine Panikattacke war, noch was das überhaupt ist. Letztendlich hatte ich "nur" das Gefühl, dass das Leben jetzt in diesem Moment enden wird. Warum auch immer, aber ganz sicher enden wird. Für die Münchner, ich war auf dem Weg vom Laimer Platz nach Hause und es ging nichts mehr. Ich habe dann in Panik bei wildfremden Leuten geklingelt und sie gebeten einen Krankenwagen zu rufen. Hat aber niemand getan. War tatsächlich leider so. Ich muss wohl einen beängstigenden Eindruck gemacht haben. Ich habe mich dann irgendwie die letzten paar Hundert Meter nach Hause geschleppt und da wurde es dann auch relativ schnell besser. Aber der Schock, was da in dem Moment mit mir passiert war, der saß.


    Über meinen damaligen Chef, den Pflegekritiker Claus Fussek (von keinem anderen Menschen habe ich für den Rest meines Lebens so viel gelernt), bekam ich sofort gute Ärzte und landete in einer Klinik. Dort wurde alles gecheckt und irgendwann kam man auf die Idee, nachdem meine Unterlagen aus der Heimat geschickt wurden, einen Zusammenhang mit der Hirnhautentzündung zu prüfen. Und nach Wochen voller Untersuchungen und Tests war es soweit, dass feststand, ich würde Spätfolgen der Hirnhautentzündung mit mir herumtragen. Diese würden für Schmerzschübe, Krampfanfälle (so ähnlich wie bei Epilepsie, nur Gott sei Dank bis heute bei weitem nicht so schlimm) oder Lähmungserscheinungen führen. Letztere hatte ich bis dahin noch gar nicht gehabt, sind dann aber später vereinzelt auch vorgekommen.


    Wenn Du 21 Jahre alt bist, dann haut das schon gut rein. Schließlich hatte ich mein neues Leben gerade erst so richtig aufgebaut. Nach der Ausbildung vor einem Jahr nach München gezogen, dort leben und weiter, wie die Jahre zuvor, zu Fussballspielen in Europa reisen. Das sollte es jetzt gewesen sein? Nein, war es nicht. Die Panikattacke in der schweren Form blieb erst einmal ein Einzelfall. Aber ich war halt nicht mehr gesund und auch verunsichert. Nach dem Ende meines Zivildienstes ging ich dann zurück in die Heimat. Und eigentlich ging es mir auch sehr gut. Ich konnte arbeiten und das Leben doch so führen, wie ich es mir vorstellte. Arbeiten und auf Reisen gehen.


    Es war mittlerweile 2003. Ich war seit einigen Jahren selbstständig und es ging mir beruflich und privat absolut bestens. Aber, ich hatte die letzten gut 2 Jahre gemerkt, dass es mir gesundheitlich nicht gut ging. Ich hatte wieder häufiger diese Krampf-, Schmerz- und Lähmungsschübe. Dazu dunkle Gedanken, die ich so nicht kannte (denn es ging mir ja wie gesagt im Leben sonst bestens) und immer häufiger Angst. Keine Panikattacken, aber schon Angst oder ein starkes ungutes Gefühl, welches ich nicht einordnen konnte, da es ja eigentlich gar keinen Grund gab.


    Das steigerte sich immer mehr bis zum 30. Mai 2003. An dem Tag änderte sich alles. Ich war in meinem Geschäft und bekam plötzlich eine Panikattacke. Ich war nur noch im Tunnel. Habe einen Angestellten angerufen und der sagte, er sei in 10 Minuten da. Da habe ich ihm dann erwidert, dass das für mich 10 Minuten zu spät sei. Er sagt heute noch, dass es ihm da eiskalt den Rücken runtergelaufen ist. Aber jeder, der Panikattacken kennt, weiß, was die in dem Moment mit einem machen und sie waren in der Stärke zu dem Zeitpunkt für mich auch noch neu. Abgesehen von der damals in München, aber die war über 10 Jahre her.


    Was soll ich sagen, ich habe an dem Tag mein Geschäft verlassen und es nie mehr betreten. Die nächsten 2 Jahre waren die Hölle. Kurz zusammengefasst stellte sich bei den nachfolgenden Untersuchgen (gingen über Monate) heraus, dass ich nun voll mit den Spätfolgen der Hirnhautentzündung zu tun hatte. Mit den Krampf-, Schmerz- und Lähmungsschüben konnte ich damals und auch bis heute, gut umgehen. Sie haben zwar mein Leben stark eingeschränkt, aber damit habe ich schon lange meinen Frieden geschlossen. Lange Reisen waren vorbei, aber nach den ersten 2-3 harten Jahren, habe ich es dann akzeptierten können. Was aber bis heute nicht leicht ist, ist mit Panikattacken und Depressionsschüben umzugehen, denn letztere kamen ab 2003 als Zugabe der Spätfolgen auch noch mit dazu. Richtig nett.


    Btw. bin ich in der Zeit, ich meine 2005, zu Foros gekommen. Vorher hatte ich gar keine Zeit fürs Internet, habe gearbeitet oder war auf Tour. Das nur am Rande.


    Ich nehme nun seit 2003 neben den Medikamenten für meine Schübe, auch Antidepressiva und gehe nie ohne meine Notfallmedizin für Panikattacken aus dem Haus. Ein einschneidendes Erlebnis war Anfang 2004, als ich meine Ärzte fragte, wie denn meine Zukunft aussehen würde. Mittlerweile war klar, dass es chronisch sei (so ist es dann auch von der Krankenkasse eingestuft worden) und ich wollte natürlich wissen, was das Leben noch für mich bereit halten würde. Das war ein harter Tag. Ich könnte noch alles in dem Raum genau beschreiben. Die beiden Ärzte nahmen sich ein gelbes Blatt Papier und gaben mir auch eines. Ich sollte die Prozentzahl aufschreiben, von der ich glaubte, sie würde meine aktuelle Lebensqualität im Vergleich zu früher realistisch widerspiegeln. Sie würden das selbe tun. Ich war am überlegen. Ich wollte nicht zu hoch ansetzen und mich stärker machen, als ich bin (das war leider immer mein großes Problem, auch in der Zeit der Selbstständigkeit, aber das kennen andere auch), ich wollte aber auch nicht jämmerlich rüberkommen. Schließlich dachte ich mir, scheiss drauf, schreib jetzt einfach das auf, was Du fühlst und denkst. 30%. Das war meine Überzeugung. Ich wünschte mir natürlich, dass die Ärzte (deutlich) mehr aufschreiben würden und sei es nur, um mich zu pushen. Später sagte mir einer von ihnen, dass sie das nicht brauchten und so waren auch sie (knallhart) ehrlich. Ebenfalls 30%. Wenn Du das mit 33 Jahren schwarz auf weiß liest, ist das brutal. Gut ein Jahr habe ich kaum jemand an mich herangelassen. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Und ich habe monatelang den verlorenen 70% nachgetrauert, mich beschwert etc.. Dann Gott sei Dank die Reißleine gezogen und lebe seitdem mit der Einstellung, dass 30% immer noch viel sind, andere aus deutlich mehr, wesentlich weniger machen und es an guten Tagen auch mal 50% oder 60% sein können.


    So ist der Stand bis heute. Nicht selten ist es von der Tagesform abhängig. Krämpfe, Schmerzen oder seltene Lähmungen sind nicht das Problem. Damit komme ich prima klar. Aber ich kann bis heute nicht verstehen, wie das Gehirn einem Depressionen oder Panikattacken "schicken" kann, obwohl ja eigentlich kein Grund dafür besteht. Nur, weil da oben im Gehirn einige Dinge aufgrund einer früheren, völlig anderen Erkrankung, leider in Mitleidenschaft gezogen wurden. Damit hadere ich heute noch gelegentlich. Denn mit Depressionsschüben und Panikattacken umzugehen ist und bleibt eine riesige Herausforderung.


    Ich möchte dazu aber noch sagen, dass es deutlich schlechtere Zeiten gab und ich in den letzten Jahren verhältnismäßig sehr gut aufgestellt bin. Aber, der schwarze Hund läuft halt ständig mit und man weiß nie, wann er einen wieder einmal anfällt. Dieses Mistvieh.


    Was hatte das für Folgen in meinem Leben? Naja, ich fiel 2003 schon sehr tief. Es ging mir ja wie gesagt in allem absolut bestens. Daher war die Fallhöhe schon heftig. Ich habe mein Geschäft aufgegeben und bin arbeitstechnisch von der Front an den Schreibtisch gewechselt. Das war schon ein riesiger Wechsel für mich, da ich in meinem Leben immer direkt mit Kunden zu tun hatte. Rückblickend muss ich aber sagen, dass es dann doch ganz gut ging.


    Privat blieb mir viel erspart. Ich höre und lese immer wieder, dass sich bei Betroffenen im Freundeskreis vieles ändert. Damit hatte ich Gott sei Dank Glück. Klar, es sind auch etliche Bekanntschaften weggebrochen und man sortiert natürlich neu durch. Aber ich habe nach den ersten 1-2 Jahren des Schocks schnell mit offenen Karten gespielt und dann erfahren, dass sich in meinem wirklichen Freundeskreis kaum bis eigentlich gar nichts änderte. Ich war früher die Lok, die alle mit sich zog und nun habe ich mich halt mal in den ersten Waggon dahinter gesetzt. Das passte schon. Heute habe ich auch einiges meiner Energie wieder zurück. Wie gesagt, oft Tagesform.


    Privat habe ich also echt Glück gehabt. Ich will aber auch ganz ehrlich sein, ich hatte mir im Sommer 2003 eine Pistole besorgt. Der Gedanke, so nicht leben zu wollen, sollte sich nichts ändern, der war da. Er blieb aber nicht lange. Am 24. Oktober 2003 versenkte ich das Teil im Wasser, wovon wir hier ja mehr als genug haben. Aber ich kann jeden verstehen, der vielleicht keinen anderen Ausweg mehr sieht. Ohne ein stabiles privates Umfeld ist die Krankheit manchmal halt nicht mehr zu ertragen. Und selbst mit oft nur schwer.


    Nun will ich aber nicht so dunkel enden, denn es geht mir soweit wirklich gut. Es gehört jedoch auch zur Geschichte mit dazu. Wer es bis hierhin geschafft hat den doch (zu) langen Text zu lesen... Danke Euch!

    :rfc: Simply a Bear :rfc:

    Einmal editiert, zuletzt von Caledonia ()

  • Bin gerade sehr traurig über eure Zeilen und echt sprachlos... :(


    Wünsche allen die betroffen sind, immer genug Kraft zu haben, dass Leben weiter zu meistern...

    :eagles: Fly Eagles Fly!!! :eagles:

  • Danke Caledonia !!!

    "Denn anders als Arbeitsstelle, Lebenspartner oder Automarke ist der Lieblingsklub nicht austauschbar.

    Mit ihm ist der Mensch ein Leben lang verbandelt wie mit der eigenen Haut.

    Sie mag Falten kriegen, doch ablegen kann sie niemand. Selbst wenn man das manchmal gern möchte."

    (Lars Wallrodt)

  • Bin gerade sehr traurig über eure Zeilen und echt sprachlos... :(


    Geht mir auch so, habe nach Cales Beitrag feuchte Augen. Wenn ich mir das durchlese und bedenke, daß mein Vater als Säugling 1947 auch eine Hirnhautentzündung hatte, wird mir bewußt, wie viel Glück mein Vater hatte, das ohne Nachwirkungen überlebt zu haben.

    Mir fehlen jetzt echt die Worte, bin von dem hier Geschriebenen ziemlich umgehauen.

    Im Moment scheint es mir aber, dass es vielen Menschen reicht, wenn es den anderen schlechter geht. Dass sie sich dann besser fühlen. Und das ist eine ganz schlimme Tendenz. Da fängt Faschismus an.


    Hape Kerkeling

  • Wie nordpolar schon richtig geschrieben hatte, da werden manche eigene Probleme so richtig klein.


    Sicher nicht als Tipp an die Betroffenen, das weiß ich aus dem eigenen Umfeld, dass das nicht hilft. Aber wenn man in der glücklichen Lage ist, dass es einem gut geht, dann sollte man sich viel öfter an den positiven Dingen erfreuen und diese in den Vordergrund stellen, anstatt den negativen zu viel Raum zu geben.


    Auch von mir an alle Betroffenen viel Kraft.

    Wer immer nur schlechtes über andere spricht, hat wohl nichts gutes über sich selbst zu sagen.

  • Das klingt sehr hart Caledonia


    Panikattacken sind scheiße. Meine erste bekam ich aufgrund von Hyperventillation wegen einer nicht bewussten Allergie und seitdem treten sie immer mal wieder auf. Wenn Du über eine Stunde zitternd und mit Herzrasen und allem anderen was dazukommt auf dem Bett liegst und dasselbe am nächsten Tag noch heftiger vorkommt, dann denkt man zeitweise schon, dass alles vorbei ist.

    Interesse an Datenbanken/Statistiken zum Fußball in den Niederlanden? Einfach fragen. ;)

  • erstmal "Hut ab" und Respekt an macwat als Themenstarter, aber auch allen anderen die hier so offen über ihre Probleme mit dieser Krankheit berichten.


    In meinem Umfeld sind ja auch 2 Leute betroffen (es waren mal 3 :admin: :heulen:) und das zeigt einfach wie stark doch die tägliche Belastung und der Druck im Alltag in Verbindung mit "normalen" oder anderen Krankheiten werden kann und was daraus schlimmes entsteht.


    Ich danke allen hier für Ihre offenen Worte, inwiefern man hier zur Genesung beitragen kann weiß ich natürlich nicht. Aber eines ist wohl sicher, wir alle inkl. mir sollten froh über dieses Forum sein und einen angemessenen Ton untereinander finden bzw. wahren.


    fuck politics & fuck religion

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