Endlich wieder Fußball. So richtiger. Ohne Fanmeilen, geschminkte Gesichter und Hawaii-Kettchen, denn schließlich ging es zusammen mit dem Schorsch ins beschauliche Walldorf. Nachdem wir am Abend zuvor in der Hans-guck-in-die-Luft-Arena schon Zeuge wurden, wie der Glubb höflich aus dem Pokal geleitet wurde, machten wir uns mit einer Mischung aus Frohmut und typisch hannöverschem Optimismus ("hoffentlich fliegen die wenigstens nach 90 Minuten raus. Kein Bock auf Verlängerung") auf den Weg ins Nordbadische. Dort angekommen, staunten wir erstmal nicht schlecht über dieses Kuhdorf, das aber (dank SAP, HDM und IKEA) zu einer der reichsten Städte Europas zu zählen ist. Dies machte sich an den piekfeinen Straßenlaternen, solarbeleuchteten Straßenschildern und einer zweispurigen Umgehungsstraße bemerkbar. Nicht zuletzt kann das Schwimmbad, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft auch das Astoria-Stadion zu finden war, locker mit karibischen Ferienanlagen mithalten. Von Schildern hielten die am Stadion selbst nicht so viel, da half nur durchfragen: "Wie komm ich denn zum Gästeblock?" "Hier weiter und nach 80 Metern links in den Wald." "Sagte der gerade, 'links in den Wald'"? Tat er und so stiefelten wir tatsächlich über einen 50 cm breiten Waldweg durch's Gestrüpp einmal um die ganze Butze rum. Die Einlasskontrolle gab sich ähnlich entspannt wie die Parkplatzsituation und die allgemeine Stimmung der Sicherheitskräfte. Hektik ist dem gemeinen Walldorfer scheinbar fremd. Die ganze Anlage hat ungefähr den Charme des Dietmar-Hopp-Stadions ein paar Kilometer weiter östlich. Eine überdachte Haupttribüne mit 6 Sitzreihen, ein paar "Logen" und einer Steh-Brüstung oberhalb der Sitzreihen für den "FCA-Fanclub 87", sowie eine unüberdachte Gegentribüne mit 4 Stehstufen, die für den Pokalkick mit einer Zusatztribüne ergänzt wurde - fertig ist das Teil. Eine Anzeigetafel fehlt gänzlich, aber immerhin haben sie unaufhörlich versucht, im Gästeblock FCA-Merch an den Mann zu bringen. Ein Kumpel ist unterdessen mit dem Fahrrad aus Hannover angereist. 6 Mann, einer mit'm Transporter und Material vorne weg, wurden seit Montag Dorfvereine auf der Route angesteuert und um Asyl ersucht, welchem alle auch begeistert stattgaben. Sogar Radio Regenbogen wurde auf das Gespann aufmerksam und wollte ein Interview.
Für den größten Erfolg der Vereinsgeschichte hatten sie sich teilweise etwas ganz besonderes überlegt. Highlight war defintitiv der Typ mit seiner (einzigen!) übergroßen Schwenkfahne, der sich mit eben dieser auf den Rasen stellen sollte, wenn die Mannschaften einlaufen. Dummerweise hatte er seine Rechnung ohne den Rasensprenger gemacht, der just in dem Moment aus dem Boden geschossen kam und ihm eine volle Breitseite verpasst hat, als er mit stolz geschwellter Brust und gehisster Fahne stramm in Richtung Mittelkreis marschiert ist. Die Fahne, die nun im nassen Zustand ein paar Gramm schwerer gewesen sein dürfte, wollte er nun zum Trocknen auf den Rasen legen. Der Platzwart hatte jedoch mitgedacht und machte sich nun seinerseits einen Spaß daraus, den Fahnenmann etwas mit den anderen Wassersprengern zu piesaken. Zweites Highlight war die ausgedachte Choreographie zum Anpfiff. Nun ist es per se schon mal keine gute Idee, eine Choreo und sei sie noch so simpel, ausgerechnet auf der Haupttribüne zu machen. Wenn dann noch der Umstand dazukommt, dass Walldorf sonst nicht vor 3.200 Leuten kickt, sondern vor 600, war eigentlich vorher schon sicher, dass das eine brutale Bruchlandung geben müsste. Es kam, wie es kommen musste, selbst das einfache Hochhalten von einem farbigen Pappzettel überforderte die Kuchentribüne gänzlich und so ergab sich doch eher ein kümmerliches Bild, das mit ca 40% der verteilten Pappen auskommen musste.
Da spielt ein Stadler! Bei Walldorf! Fantastisch! #muppetshow Dummerweise spielte da auch ein Marcelo. Innenverteidiger! Bei 96! Hatte sich dann nach 40 Minuten aber dank allgemeiner Überforderung der 96-Hintermannschaft und spezieller Dusseligkeit bei Marcelo schon wieder erledigt. Notbremse. Rot. Danke. Bitte. Das Spiel ist dann auch schnell erzählt: Die im Gegensatz zu allen anderen Mannschaftsteilen nicht neu formierte Abwehr von 96 hatte selbst mit dem Viertliga-Aufsteiger Astoria Walldorf arge Probleme, gerade im Stellungsspiel, was deren schnelle Stürmer immer wieder zu gefährlichen Kontern animierte. Einem Pfostenschuss, Ron-Robert Zieler und der nötigen Portion Doofenglück war es zu verdanken, dass es beim zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich für den FCA geblieben ist und letztlich die höhere individuelle Klasse der Bundesligakicker den Ausschlag gab. Wenn die allerdings in der bevorstehenden Saison genauso auflaufen, wird es eine verdammt interessante Saison. Und warum Joselu 5 Mio. € gekostet hat, konnte er gestern auch noch nicht unter Beweis stellen.
Zum Schluss noch etwas in eigener Sache, denn gestern hat man wunderbar gesehen, zu welch elektrisierender Stimmung es in der neuen Saison bei Spielen des Premiumproduktes gleich reihenweise kommen wird. Selbst die 20 Ü50-Männchen des FCA-Fanclubs haben die 500-Mann Gästeblock-Besatzung mal eben locker an die Wand gesungen und wenn auch wieder Worte wie "Halbjude" öffentlich ausgesprochen werden dürfen, ist klar, wohin die Reise ohne Korrektiv und ohne organisierte Unterstützung der Fankurve hingeht. In einem vorherigen Beitrag hatte ich ja mein zukünftiges Fernbleiben von 96-Spielen angekündigt und das muss ich etwas revidieren. Vereinzelte Kicks werde ich mir auch zukünftig geben. Wahrscheinlich zu 96% nur im Pokal, was ja traditionell meistens in der 2. Runde bereits erledigt ist. Allerdings habe ich das gestern mehr so aus Interesse an einer Tour nach Walldorf getan, und meinetwegen hätte da auch der FV Illertissen gegen die spielen können, ich hätte es wohl genauso gleichgültig geschehen lassen. Anspannung hat sich gestern jedenfalls zu keinem Moment wirklich breitgemacht, obwohl der Spielverlauf einiges dafür getan hatte. So bleibt festzuhalten: 96 ist für mich eigentlich (weiterhin) emotional so gut wie gestorben und das gestern hat mein Gefühl nur weiter bestätigt.