"Mein schönstes Ferienerlebnis" - Katers Spielberichte

  • Wunderbar :nuke:


    Eigentlich viel zu schade, da dass hier ja nur verhältnismäßig wenig Leute lesen.

    SCV und der FC

  • ;D Kater - du bist ne echte Granate! Ich hab das hier jetzt schon dreimal "inhaliert" und kann mich einfach nicht sattlesen. Welches verdammte Forum in unsrem verdammten Universum kann solche herrlich "erdigen" Berichte auch nur annähernd genauso anbieten? Wahnsinnsnummer wieder. :klatsch:

    Ich kann mit dieser Stadt nichts anfangen. Ich war bisher 3x da und habe bewusst jedes Mal einen anderen Weg in die Stadt genommen, aber irgendwie werde ich mit dem Kaff nicht warm. Das könnte auch an den Graffitis gelegen haben, die hier weit mehr als anderswo rechtes Gedankengut vorzeigen, oder an den vielen Thor-Steinar-Aufklebern, die sich vorrangig an alten verrosteten Opel Astra-Kombis fanden. Oder einfach nur an der Stadt selbst.

    :dance1: Du, ganz im Vertrauen - ich kann mit "mei Houmdaun" auch immer weniger anfangen und bekomm dafür immer häufiger das Frösteln. Was aus dieser (Innen)Stadt gemacht wurde und wie sich nicht wenige Einwohner derart verändern konnten ist fast schon ein Fall für die UN-Menschenrechtskonvention. Glaub mir, das war mal völlig anders und mir blutet das Aborigine-Herz nicht alleine.

    Und auch die Bude, die irgendwelche findigen Rentner vor Jahren bis Jahrzehnten in den Hang über der Gästekurve geklöppelt hatten – und die auch immer noch fleißig besucht wird, muss wohl demnächst umziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man von dort noch großartig viel vom neuen Stadion sehen wird.

    Es gibt das (unhaltbare) Gerücht, dass der Stadionneubau extra deswegen in Angriff genommen wurde. :D

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    :drink:


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  • Kater - du bist ne echte Granate! Ich hab das hier jetzt schon dreimal "inhaliert" und kann mich einfach nicht sattlesen. Welches verdammte Forum in unsrem verdammten Universum kann solche herrlich "erdigen" Berichte auch nur annähernd genauso anbieten? Wahnsinnsnummer wieder.

    :hutab: Vielen Dank für die Blumen!

    Nanakorobiyaoki

  • Auch die Nacht war irgendwie verflucht kurz und noch kälter als die letzte, denn irgendein Spezialist meinte, um 6 Uhr mit ner Kippe vor meinem Fenster/meiner Tür umherlaufen zu müssen. Wobei das roch, als hätte sich im Hotelflur spontan die Raucherlobby eines mittelgroßen internationalen Flughafens zusammengefunden. Also wieder früh wach und wieder unfassbar viel Zeit totzuschlagen, was ich dadurch tat, dass ich bis zur Grenze nicht die Autobahn, sondern die Staatsstraße 94 genommen habe. Nach einem letzten Tankstop (beim Diesel spart man ca. 10 Cent/Liter, beim Benzin sogar fast 30), ging es 80 km querfeldein über eine sehr gut ausgebaute Straße. Wirklich bedeutend toll war die Landschaft da nun nicht unbedingt, aber es war mal was Anderes und die Straße führte mich unter Anderem auch durch Boleslawiec, was unter keinen Umständen mit dem tschechischen Mlada Boleslaw, dem Hauptsitz von Skoda verwechselt werden sollte. Wirtschaftlich entscheidend für die Stadt ist die europaweit bekannte „Bunzlauer Keramik“, die vor allem vor dem 2. Weltkrieg einen hohen Stellenwert genoss und auch heute noch von Ommas und Sammlern geschätzt wird und so der Stadt den Beinamen „polnische Keramikhauptstadt“ einbrachte.
    Zwischen Boleslawiec und der Grenze lachte ich mir unterwegs noch zwei ukrainische Anhalter an, die in der Grenzregion in einem Supermarkt arbeiteten und witzigerweise besser Deutsch als Polnisch konnten. Da ich ja selbst schon in der Ukraine war, hatte man auch sogleich die passende Gesprächsgrundlage.


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    Getreu dem Motto „ein nicht vollbesetztes Auto ist Kapitalverschwendung“ stellte ich schon auf dem Weg nach Aue spontan die sonntägliche Tour von Bautzen nach Leipzig in die Mitfahrbörse und fand tatsächlich noch einen Mitfahrer, der von Dresden nach Leipzig wollte, was meinen Zeitplan dann doch wieder etwas durchwirbelte. Der Geselle stellte sich als Dauerkarteninhaber im K-Block von Dynamo heraus, was ich einerseits nutzte, ihm das Forum näherzubringen und andererseits wollte ich mich bei ihm mal nach einem gewissen Herrn Kutschke erkundigen. So kritisch wird er dann landläufig wohl doch nicht gesehen, wie es hier im Dynamo-Board der Fall ist. Außerdem erzählte er mir, dass er 2008 für den SSV Markranstädt gespielt hat und wenn er nicht nach Dresden zurückgezogen wäre, hätte er für die Dosen spielen können. Ich hab’s auf transfermakt.de geprüft, das stimmt tatsächlich. Er sagte mir auch freimütig, dass er natürlich die Kohle mitgenommen hätte, wenn er ernsthaft für die in der 3. Liga hätte kicken können. Und jetzt seid mal ehrlich zu euch: Wer hätte es nicht getan?


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    In Leipzig angekommen, holte ich mir kurz meine Presse-Akkreditierung am Kassenhäuschen des Bruno-Plache-Stadions ab, die Ricardo: mir dankenswerterweise klargemacht hat und danach ließ ich mich von ihm durch’s Stadion führen. Schon beeindruckend, diese Anlage, die im Stadiontest auch entsprechende Würdigung erhalten wird. Das Spiel und die Schiedsrichterleistung wurden ja schon im Lok-Board entsprechend gewürdigt. Ziemlich auf den Sack ging mir aber der Gästeblock: Wer immer noch glaubt, dass ein Dauergemurmel von 50 schwarz angezogenen Jugendlichen einen ordentlichen Support darstellt, soll sich doch bitte mal ein beliebiges Zweitligaspiel in Polen anschauen. Sowas sinnloses aber auch…


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    Jetzt habe ich irgendwie noch etwas Platz, denn die Rückfahrt verlief (fast) komplett ereignislos. Nun ja, dann nutze ich die Gelegenheit, mich mal generell über die Ekstraklasa auszulassen:
    Die Stadien sind modern und komfortabel, es gibt ausschließlich Sitzplätze und 13 der 16 Stadien der polnischen Ekstraklasa wurden in den letzten 10 Jahren grundlegend modernisiert, oder neu gebaut. Die EM 2012 hat selbst in den Städten abseits der Spielorte einen wahren Stadion-Bau-Boom ausgelöst, denn die Städte hatten wohl Angst, mit ihren alten und zugigen Ovalen sowjetischer Bauart ins Hintertreffen zu geraten und es sind Stadien jeglicher Größe neu enstanden, die durchaus internationalen Standards entsprechen. Nur: es geht keiner hin - fünf Jahre nach der Europameisterschaft im eigenen Land hat die Ekstraklasa mit einem auffälligen Zuschauerschwund zu kämpfen. Es ist nicht ganz so schlimm wie in Tschechien, wo selbst der FK Teplice selten mehr als 3.000 Gäste begrüßt, aber in Tschechien gibt’s eben noch eine gewisse Konkurrenz durch das Eishockey, die in Polen fast völlig fehlt. Es haben sich nur die kühnsten Fantasten damals ausgemalt, dass Vereine wie Slask Wroclaw, Lechia Gdansk oder Lechia Poznan ihre neuen, jeweils gut 200 Mio. € teuren Stadien nachhaltig füllen würden, dennoch hat man sich gerade durch die EM schon einen Zuschauerboom ausgerechnet. Selbst das Derby Zaglebie Lubin gegen den nur 70 km entfernten Traditionsverein Slask Wroclaw lockte kaum nen ollen Straßenkater hinter dem Ofen vor und der Zuschauerrekord von Zaglebie stammt aus dem Jahr 2012, als man zum Derby gegen Slask 12.100 Besucher begrüßen durfte. In einem 16.500 Zuschauer fassenden Stadion.


    Wenn wir Slask als Beispiel nehmen, und Wroclaw hat ja immerhin 600.000 Einwohner und ein dicht besiedeltes Umland, stellen wir erschreckend fest, dass der Zuschauerschnitt im Jahre 2011/12, also im Eröffnungsjahr der neuen Arena, bei knapp 17.000 lag und in der gerade abgelaufenen Saison nicht mal 9.000 Leute im Schnitt ins Stadion strömten. Das Ganze bei Eintrittspreisen, die selbst für das polnische Durchschnittsgehalt von 987€/Monat durchaus erschwinglich wären und beim eben schon angesprochenen Komfort der neuen Stadien. Nur vier Vereine der Ekstraklasa haben überhaupt einen Schnitt von über 10.000 Zuschauern, darunter ab Liga 2 sieht’s noch finsterer aus. Ausnahme bildet der Traditionsverein Widzew Lodz, der aufgrund finanzieller Fehlplanung einen herben Aufschlag in der 5. Liga hinnehmen musste. Mittlerweile in der 4. Liga angekommen und seit Anfang des Jahres mit einem neuen, 18.000 Zuschauern fassenden Stadion ausgestattet, konnte man 10.000 Dauerkarten verkaufen.


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    Zurück zu meiner Rückfahrt und die wollte mit einer kuriosen Szene enden. Irgendwo auf einem Parkplatz bei Kassel folgte ich kurz dem Ruf der Natur, als neben mir ein roter Dacia Logan (Stufenheck!) mit dunkelgrauer Schutzbeplankung hielt und zwei Personen (Vater und Tochter) ausstiegen, die auch gut durch’s ‚Frauentausch‘-Casting hätten durchfallen können. Beide waren mit Greifarmen bewaffnet und durchwühlten tatsächlich die Mülltonnen des Parkplatzes nach Pfandflaschen. Lassen wir das kurz auf uns wirken und rechnen mal nach… So ein Logan braucht gute 8 Liter auf 100 km. Da sie nicht nur einen Parkplatz anfuhren, sondern noch mindestens einen weiteren, schätzte ich mal vorsichtig, dass die beiden am Abend ungefähr 50 km zurücklegten. Wir erinnern uns an die 8 Liter, machen mal kurz ne Nebenrechnung auf und finden heraus, dass allein 6€ an Spritkosten gar nicht so unrealistisch wären. Für diese müssten sie mindestens 24 Wasserflaschen sammeln. Natürlich fanden sie zumindest auf meinem Parkplatz keine einzige. Ich beschloss, meine Erkenntnisse für mich zu behalten und ließ sie zum nächsten Parkplatz weiterziehen. Also ich hätte da lieber ‚Tatort‘ geguckt...

    Nanakorobiyaoki

    Einmal editiert, zuletzt von Kampfkater ()

  • Die Stadien sind modern und komfortabel, es gibt ausschließlich Sitzplätze und 13 der 16 Stadien der polnischen Ekstraklasa wurden in den letzten 10 Jahren grundlegend modernisiert, oder neu gebaut. Die EM 2012 hat selbst in den Städten abseits der Spielorte einen wahren Stadion-Bau-Boom ausgelöst, denn die Städte hatten wohl Angst, mit ihren alten und zugigen Ovalen sowjetischer Bauart ins Hintertreffen zu geraten und es sind Stadien jeglicher Größe neu enstanden


    Könnte es eventuell auch daran liegen, dass die Sicherheitsanforderungen in Polen rauf gesetzt wurden? Die hatten doch auch ein echtes Hooligan Problem wodurch eine ganze Zeit kein normaler Fan mehr in die Stadien ging, was sich natürlich auf die Besucherzahlen auswirkte. Dagegen wollten sie ja auch ordentlich vorgehen

    "Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag. Lass dich einfach von ihr tragen, denk am besten gar nicht nach"

    - Christian Drosten

  • @Kampfkater
    Sensationell! Habe das erst in den letzten Tagen gefunden. Zusammen mit Deiner Stiftung Stadiontest einfach nur sensationell. Müsste man ausdrucken und als Buch binden. Gleiches gilt auch für die Berichte von @Captain BlackAdder!


    Einen Riesen LOB an Euch beide. Eine super Abendlektüre!

  • Dem Lob kann man sich anschließen, lese die Berichte auch immer wieder gerne :nuke: Ich bin für sowas viel zu faul |-)

  • Auch dir vielen Dank! :hutab:


    @Giancarlo In die Richtung habe ich auch überlegt, aber zumindest bei meinen beiden Stadionbesuchen habe ich niemanden gesehen, der irgendwie nach Hool aussah. Auch beim Derby nicht. Klar, einige Ultras die maskiert, mit Bengalo in der Hand nen Slask-Schal verbrannt haben, aber sonst... :schulterzucken:


    Also die Hools scheinen sie mit der Registrierungsprozedur erfolgreich aus den Stadion verbannt zu haben, aber warum die Normalos? Vielleicht noch der schlechte Ruf - ich weiß es nicht.


    edit: So kennt man dich, Spargel. :D

    Nanakorobiyaoki

  • Die Registrierung war ein Puzzleteil, um die Hools los zu werden, ich meine da waren auch andere Sicherheitsvorkehrungen mit im Paket, die sicherlich nicht alle in den alten Stadien umgesetzt werden konnten.


    In der Zeit, als die Hools noch richtig aktiv waren, kam kaum ein Normalo. Da gab es Vorfälle, dass die Hools draussen vor dem Stadion standen und alles was Gastfan war weggebolzt haben. Aber auch Boykotte, wo die Heimfans von den eigenen Hools weggebolzt wurden, wenn sie trotz Boykott ins Stadion wollten.
    Sowas wirkt immer ne ganze Zeit lang nach.
    Jetzt unter den Ultras sind die Hools nicht mehr so vertreten, aber auch die Ultras haben nicht unbedingt den besten Ruf, die sind zum Teil genauso rechtsextrem wie früher die Hools, sind zum Teil fast so gewalttätig wie die Hools und setzen darüber hinaus auch noch Pyro ein, um es in die Blöcke der Gegner zu befördern...
    Das gilt natürlich nicht für alle Spiele, kommt aber immer mal wieder vor

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    - Christian Drosten

  • Der Geselle stellte sich als Dauerkarteninhaber im K-Block von Dynamo heraus, was ich einerseits nutzte, ihm das Forum näherzubringen und andererseits wollte ich mich bei ihm mal nach einem gewissen Herrn Kutschke erkundigen. So kritisch wird er dann landläufig wohl doch nicht gesehen, wie es hier im Dynamo-Board der Fall ist.

    Das mit dem K-Block im Sinne der reinen Blöckebezeichnung hat sich aus diesem Grunde seit 15 Monaten erledigt. Mitdenkende Spötter sehen im "K" einfach nur noch den Anfangsbuchstaben jenes gehuldigten Leihspielers. Man frönt halt auch bei uns dem Event und der Selbstbeweihräucherung und macht sich immer weniger Gedanken um idealistische Werte, aber auch der Blick aufs Mannschaftsgefüge und das Gespür für "wer bringt welche Leistung unter welchen Voraussetzungen" trübt sich leider auf die Art immer mehr ein. Absolut nicht Dynamo-like. Eine Frage der Ehre, dafür häng ich schon zuviele Jahre an meinem Verein...

    Außerdem erzählte er mir, dass er 2008 für den SSV Markranstädt gespielt hat und wenn er nicht nach Dresden zurückgezogen wäre, hätte er für die Dosen spielen können. Ich hab’s auf transfermakt.de geprüft, das stimmt tatsächlich. Er sagte mir auch freimütig, dass er natürlich die Kohle mitgenommen hätte, wenn er ernsthaft für die in der 3. Liga hätte kicken können. Und jetzt seid mal ehrlich zu euch: Wer hätte es nicht getan?

    Ich. Aber 100 Pro!


    Wenn man als Sportler in einer Region groß wird, in der man noch Gras fressen musste, um mit Stolz, Ehre und nem Gespür für gesellschaftliche Belange unterwegs sein zu dürfen - wenn man also all dies tagtäglich verinnerlicht und anderen vorgelebt hat, dann kam man nicht auf solche Gedanken. Und wenn man dann in seiner eigenen Region derartige offiziell durchgewunkene Machenschaften, die deinen Glauben an Ehre, Stolz und dem Gespür für ges. Belange auf ne sehr harte Probe stellen, miterlebt, dann zeigt sich, wer seine Heimat liebt, sich selbst achtet und Charakter beweist.


    Das ist jetzt Zufall, aber ich kannte da mal einen aus der dortigen 2007/2008er Truppe aus sehr privaten Gründen nur allzu gut - auch was dann seine Zukunft anging. Eine echte...Pieeeep...!

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    :drink:


    Lerne Schweigen ohne zu Platzen

  • Eigentlich solltet ihr hier jetzt eine Geschichte von zwei Welttrainern lesen, die auszogen, um ein Stück deutsche Fußballkultur in die entlegenen Provinzen Europas zu bringen; Thomas Doll und Michael Oenning! Der von Oenning trainierte Vasas FC, ein Stadtteilklub aus Budapest, musste bei Ferencvaros antreten, trainiert von Thomas Doll. Da ich eigentlich in Ungarn im Urlaub sein wollte, hatte ich mir dieses Spiel auf meine Agenda gesetzt. Nun ja, der Flughafen Düsseldorf hat’s versaut…


    So wacht man am nächsten Morgen (so gegen 11:30) zuhause auf, aufgrund des gescheiterten Urlaubs noch mächtig frustriert und denkt sich „warte mal, die zweite Liga spielt in Frankreich doch grundsätzlich Freitags um 20 Uhr. Le Havre? 600 km? Dat schaff ich!“ Gut, dass die Karre vollgetankt und der Koffer noch gepackt war, also ging’s aus dem Bett quasi ins Auto. Aber nur ein Spiel? Oh, Lens hat am Samstagnachmittag ein Heimspiel und Troyes am Abend. Alles immer „nur“ 300 km auseinander. Hey ho, let’s go!


    Außer, dass es wirklich 600 km durchweg gepisst hat, verlief die Fahrt komplett ereignislos und gegen 19 Uhr begrüßte mich das Stade Océane mit seiner leuchtend blauen Außenfassade, die aus dem gleichen Material besteht, wie die der Allianz-Arena in München. Die Parkplatzsuche gestaltete sich unkompliziert, denn direkt gegenüber liegt das alte Stadion des Le Havre AC, das Stade Jules Deschaseaux, das bis 2012 genutzt wurde. Es heißt übrigens Le Havre AC und nicht, wie sonst in Frankreich üblich, AC Le Havre. Grund ist, dass der Verein tatsächlich Le Havre Athletic Club heißt, weil dessen Mannschaften sich in der Anfangszeit fast ausschließlich aus Engländern rekrutierten. Auch in den Vereinsfarben findet man diese Tradition wieder, diese sind hell- und dunkelblau, eine Hommage an die Universitäten Oxford und Cambridge. Ich staunte auch nicht schlecht, als vor Anpfiff die Vereinshymne ertönte, mit der Melodie zu ‚God save the Queen‘.


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    Der Le Havre AC hat sich mit dem Stade Océane ein 25.000er Stadion in die Landschaft gestellt und auf den ersten Blick fragt man sich: Warum nur? Nur knapp über 7.000 Zuschauer verliefen sich zum Heimspiel gegen das 300 km entfernte Orleans im blauen Rund, davon knapp 15 Gästefans, die ihre US aber immerhin leidenschaftlich anfeuerten. Von den Vereinsverantwortlichen hörte man im Zuge des Neubaus, dass man perspektivisch auch wieder für die Ligue 1 plant, aber selbst in der letzten Saison des HAC im Oberhaus kamen nur durchschnittlich 12.000 Zuschauer. Abgesehen von einigen Jahren in der Ligue 1 (vor allem in den 90ern) verfügt der HAC vor allem über eine exzellente Jugendarbeit, die neben internationalen Größen wie Vikash Dhorasoo, Jean-Alain Boumsong, Lassana Diarra und Steve Mandanda, auch die Herren Paul Pogba Dimitri Payet hervorgezaubert hat.


    Ein großer Teil der Anwesenden fand sich auf dem Unterrang der Nordtribüne ein, der als Fanblock dient. Ca. 200 von denen machten durchweg Alarm, bei dem die Ultragruppierung Barbarians Havrais den Ton angegeben hat. Der durchweg recht gute Ton passte auch zum munteren Spielchen, das sich auf dem Rasen entwickelte. Allerdings spielte ausschließlich der Gastgeber, stand sich aber zu oft mit fahrigem Spielaufbau und heftigen Fehlpässen selbst im Weg. Dennoch spielten sie sich einige hochkarätige Chancen heraus und meistens wurde es über den pfeilschnellen Rechtsaußen Zinedine Ferhat gefährlich. Aber immer war Schlussmann Gallon zur Stelle und hielt die Gäste im Spiel. An Gallon wurde vor dem Spiel ein modisches Kapitalverbrechen begangen, denn irgendwer hatte dem bemitleidenswerten Keeper zu seinem bordeauxroten Torwarttrikot eine lachsfarbene Hose angezogen. Irgendwann merkte der Gast aus Orleans dann, dass hier was zu holen ist, und so wurde die erste echte Torchance gleich mit der Führung gekrönt: In der 36. Minute trat ein gewisser Karim Ziani eine Ecke in den Strafraum, die Innenverteidiger Cedric Cambon mit einer Direktabnahme in die kurze Ecke beförderte. HAC-Torwart Thuram (spielte schon in Lüttich) fiel etwas bahnschrankig und schon stand es 0:1. Kurz noch zurück zu Ziani, der hat nach seinem Abschied aus Wolfsburg eine beeindruckende Tingeltour hingelegt, die ihn von einer Leihe in die Türkei in die Emirate, nach Katar und nach Rumänien brachte, bis er zu Beginn der letzten Saison in Orleans anheuerte. Nach dem Tor entfesselte die US dann plötzlich ein interessantes Offensivspektakel, während Le Havre nur noch staunend danebenstand und sich gerade so eben mit einem 0:1 in die Halbzeit retten konnte. Für einen kurzen Lacher sorgte noch die durchaus ansehnliche Schiedsrichterin, die nach einem Foul schon die gelbe Karte in der Hand hatte, es sich aber anders überlegte und den Karton wieder einsteckte.


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    In der zweiten Halbzeit übernahm zunächst der Hausherr wieder das Kommando und wurde nach 53 Minuten belohnt; Kapitän Bonnet, der schon über 300 Spiele für Le Havre absolvierte, flankte den Ball hart in die Mitte und Abwehrspieler Furtado hatte keine andere Wahl mehr, als den Ball ins eigene Tor zu befördern. Dann aber wurde das Fußballspielen wieder eingestellt und 20 Minuten vor Schluss begann wieder die Offensive von Orleans zu drücken. Abermals nach einer Ecke beförderte der zweite Innenverteidiger Monfray den Ball mit der Hacke (!) auf’s Tor, aber Torwart Thuram reagierte großartig. 10 Minuten später wieder Orleans, Stürmer Gomis schießt mit Wucht auf die kurze Ecke, aber wieder ist Thuram da. Und auch den Schlussakkord setzte der Gast; Ziani ist für seine 35 Jahre noch erstaunlich schnell, viel zu schnell jedenfalls für den stämmigen Verteidiger Youga, den er im 1 gegen 1 abkochte wie einen Schuljungen. Der Schuss von Ziani flitzte aber parallel zur Außenlinie knapp am Tor vorbei und so blieb es bei einem letztlich verdienten 1:1, in dem der Gastgeber zwar insgesamt überlegen war, Orleans jedoch die klar besseren und häufigeren Torchancen hatte.


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    Nach Abpfiff beeilte ich mich durch den Regen zum Auto zu kommen und die 2 km ins nachmittags von unterwegs eilig gebuchte Hotel zu fahren. Dort stand die größte Prüfung des Tages auf dem Plan: Mit nem Franzosen Englisch sprechen! Klappte aber ganz gut und auch die Nahrungsbeschaffung im benachbarten Fast-Food-Laden klappte erstaunlich gut. Aber wieder gab es zu meinem Entsetzen keinen Sportsender im Hotel-TV, aber die französische Version der Super-Nanny war auch ganz unterhaltsam. :D

    Nanakorobiyaoki

  • Der nächste Tag begann, wie der letzte endete: Mit durchgehendem Pisswetter, das nicht unbedingt zu einer Sightseeing-Tour einlädt. Gut, dass Le Havre sowieso unfassbar hässlich ist und es einmal durchfahren auch getan hat. Die gesamte Innenstadt hat sogar den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes, das liegt aber nicht an der (nicht vorhandenen) pittoresken Altstadt, sondern daran, dass die Stadt von 1945 bis 1954 von einem einzelnen Architektenteam komplett wiederaufgebaut wurde, nachdem Le Havre im 2. Weltkrieg böse auf die Fresse gekriegt hat. Betonklotz an Betonklotz reihen sich an breite Boulevards und zu allem Überfluss wurden die Betonklötze auch noch großflächig mit Waschbeton verkleidet.


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    Gut, dass ich mir schon vorher einen Alternativplan zurechtgelegt hatte, den auch das Scheißwetter nicht vereiteln konnte: Die Felsen von Etretat! Dieses Örtchen kann ich wärmstens jedem empfehlen, der mal zufällig in der Nähe vorbeikommt. Dazu muss man wissen, dass die Kanalküste in der Gegend eigentlich ausschließlich aus bis zu 100 Meter hohen Steilklippen besteht, die sich über 120 km bis nach Le Havre erstrecken. Es gibt nur wenige Einbuchtungen, die das Land auf Meereshöhe hinab führen und in einer dieser liegt Etretat und ist links und rechts von 80 Meter hohen Klippen umgeben und auf die eine hat irgendwer sogar ne Kirche gebaut. Als zusätzliche Besonderheit hat ein unterirdischer Fluss über Jahrtausende ein Loch in den Fels gegraben, sodass ein spektakulärer Felsbogen ins Meer ragt, ähnlich wie das letztens eingestürzte Azure Window auf Malta.


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    Man könnte in Etretat locker den ganzen Tag verbringen, zur Kirche hochlaufen, in verschiedene Höhlen klettern, oder auf die andere Seite zu einem Aussichtspunkt. Leider machten mir erstens mein Zeitplan und zweitens das Schweinewetter einen Strich durch die Rechnung. Nach 10 Minuten war ich komplett durchnässt und die Hose hat anschließend nicht mal ne dreistündige Autofahrt mit Sitzheizung wieder trocknen können. Man muss aber dazu erwähnen, dass ich zuvor noch 10 Minuten an nem Parkautomaten anstand, dessen Funktionsweise selbst anwesende Franzosen massiv überfordert hat. Nach ewigem rumprobieren gaben sie auf und wünschten ihren Nachfolgern „bonne chance“. Die hatten dann den Geistesblitz, ihr Kennzeichen über die Tastatur einzugeben und siehe da – es funktionierte. Und das Kennzeichen wurde mit auf den Parkschein gedruckt. Auf so nen Schwachsinn muss man erstmal kommen und auf Englisch wurde das da natürlich auch nirgends erklärt.


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    Nass bis auf die Haut ging es ab ins 300 km entfernte Lens, das ich laut Navi entspannt 50 Minuten vor Anpfiff erreichen sollte. Mit Entspannung war’s dann nicht so. Einerseits brannte mir von der Sitzheizung mächtig der Arsch und andererseits war 20 km vor dem Ziel plötzlich die Straße gesperrt. Gut, dass der Franzose mitdenkt und eine Umleitung ausgeschildert hat. Schlecht, dass der Franzose wohl nur dieses eine Umleitungsschild am Start hatte und man über den weiteren Verlauf derselben im Unklaren blieb. Das Navi hatte sich mittlerweile ne schmackhafte Alternative überlegt, aber auch die endete plötzlich vor einer merkwürdigen Absperrung. Verzweifelt kam ein Gendarm mit wedelnden Armen auf mich zugerannt und ich teilte ihm zwar auf Englisch mit, dass ich da doch mal durch müsste, er redete dann aber auf Französisch auf mich ein, dass er die Idee nicht so gut fand. Am Gendarm vorbei erblickte ich den Grund der (temporären) Sperrung: Die fahren hier Rallycross und die Straße wurde für die Zuschauer abgesperrt. Also die 10 km zur Straßensperre wieder zurück (und mit dem Fahrstil, den ich jetzt an den Tag legte, hätte ich auch glatt das Rennen mitfahren können) und auf gut Glück in die andere Richtung gefahren. Auch Google Maps fand die Idee nach einigen Zickereien ganz passabel, die Ankunftszeit sprang nun aber auf 14:45 Uhr. Also wieder Gas geben und hoffen, dass die Blitzer-App gute Dienste leistet, nur leider wurde auch die Idee kurz darauf wieder eingebremst, und zwar von einem Opa in einem bronzefarbenen Ford Fiesta, der auf der kurvigen Route Departement mit 50 entlangzuckelte (Tempolimit: 90!). Da platzt dir der Arsch und das nicht wegen der Sitzheizung!


    Lens ist glücklicherweise ein kleines Dreckskaff (31.000 Einwohner, ins Stadion passen 38.000 Leute), denn man ist relativ schnell am Stadion und nachdem im Chamäleon-Style (Fahre und parke wie ein Einheimischer) quer auf dem Bordstein eingeparkt wurde, ging es im Laufschritt zum Stadion. Und wieder lernte ich, die französischen Stadien zu verfluchen, die nur ein verdammtes Ticketbüro haben und das natürlich auf genau der Seite, auf der ich nicht angekommen bin. Die Frage nach dem Block beantwortete ich mit „egal, gib mir, was am Nächsten dran ist) und faire 17€ für einen Hintertor-Sitzplatz wechselten den Besitzer. Ich musste doch etwas schmunzeln, als ich auf meiner Karte den Zeitstempel des Ausdrucks entdeckte: 14:59:58! :D


    Selbst der Typ an der Einlasskontrolle hatte Mitleid mit mir, ich muss ausgesehen haben wie ein Kirmesboxer nach einem 12-Runden-Kampf gegen Mike Tyson, und ließ mich ohne Taschenkontrolle passieren. Bevor ich mich auf das Spiel konzentrierte, checkte ich noch kurz meine Abendplanung. Der ursprüngliche Plan, nach Troyes zu fahren, begeisterte mich nun nicht mehr so ganz. Einerseits hatte ich auf eine erneute Hetzerei keinen Bock (2 ½ Stunden für 300 km) und andererseits war es unmöglich, in Troyes ein Hotel mit spätem Check-In zu finden. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass in Belgien noch ein Spiel steigen würde, und zwar sollte um 20:30 im nur 80 km entfernten Waregem der heimische SV Zulte-Waregem auf die Nachbarn des KV Kortrijk treffen. Kurz den Online-Shop gecheckt, teures Vergnügen, aber es gibt noch Karten. Wunderbar, der Abend ist gerettet und warum nicht zumindest noch eine Halbzeit von Mouscron vs. Club Brugge mitnehmen? Das Stadion wäre in nur 30 Minuten von Lens zu erreichen und liegt genau auf halber Strecke nach Waregem.


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    Nun aber erstmal zum hiesigen Spiel. Die verpassten zwei Minuten zu Beginn wirkten sich nicht nachhaltig aus, denn gefährlich wurde es erst in der 10. Minute. Der Erstligaabsteiger aus Lorient kam über links und eigentlich dürfte aus dieser Situation niemals ein Tor fallen. Nun ja, der Linksverteidiger war nicht auf der Höhe, Linksaußen Bouanga konnte den Ball aus dem 16er zurück spielen und der ungefähr 100-jährige Gael Danic, der in Frankreich auch schon alles gesehen hat, kullerte den Ball mehr aufs Tor, allerdings hatte auch Torwart Douches nen interessanten Aussetzer und ließ den Ball unter sich durch ins Netz gehen. Der Stimmung tat das interessanterweise keinen Abbruch, die Fans des RC Lens, die ihren Platz im kompletten Unterrang der Gegentribüne haben, machten einfach weiter Lärm und das gelang durchaus eindrucksvoll. Davon beflügelt, wollte auch der RC Lens am Spielgeschehen teilhaben und platzierte nach 20 Minuten einen Kopfball auf’s Tor, der von Keeper Delecroix aber fein pariert wurde. Nur drei Minuten später stand dann aber der Ausgleich an: Filip Markovic (derrrr Serrrrbe #tut) wurde bei einer Ecke sträflich allein gelassen und ließ sich nicht lange bitten. Das war’s dann auch schon in der ersten Halbzeit, mehr passierte nicht mehr. Nach einer guten Stunde brachte eine Ecke die erneute Führung der bretonischen Gäste, wobei auch der Kopfball genau auf den Mann ging und alles andere als unhaltbar war. Immerhin war nun auf dem Platz mehr los, nur gut 5 Minuten später gab es den erneuten Ausgleich für Lens. Ein katastrophaler Ballverlust im Spielaufbau landete bei Markovic, der spielte flach in die Mitte und Kevin Fortune stocherte den Ball im Fallen zum 2:2 ins Netz. Jetzt spielte auf einmal nur noch die Heimmannschaft und hatte noch einige Torchancen, doch leider wurde das Spiel letztlich vom Schiedsrichter entschieden. Der Knabe war sowieso sehr kleinlich und hätte vielleicht lieber Basketball pfeifen sollen und der FC Lorient nutzte dies schon das ganze Spiel über sehr zu seinen Gunsten. Irgendwo lag immer einer rum, oder humpelte demonstrativ mit schmerzverzerrtem Gesicht durch die Gegend. Ziemlich unsympathische Kacktruppe…


    Die Krönung der Schiedsrichterleistung gab es aber in der 82. Minute, als der Linksverteidiger von RCL, Hafez, dem Lorient-Angreifer Selemani den Ball vom Fuß spitzelte. Dieser flog über seine eigenen Füße und der Schiri zeigte auf den Punkt. Ungefähr jeder im Stadion hat gesehen, dass das kein Elfmeter war, selbst Proteste aus Lorient hielten sich in Grenzen. Linksaußen Bouanga ließ sich nicht lange bitten und stellte den 2:3-Auswärtssieg sicher. Ein Bonbon hatte sich der Schiedsrichter aber noch aufgehoben. Souleymane Diarra, frisch aus Ungarn (hahaha) ausgeliehen, holte sich die gelb-rote Karte ab und irgendwie ging es dem FC Lorient trotz Führung nicht schnell genug. Bouanga lief hinterher und schubste Diarra von hinten um…und sah nur gelb.


    Spiel vorbei, ab zum Auto und weiter nach Mouscron. Dass ich das nicht pünktlich um 18 Uhr schaffen würde, war mir klar, aber bei verfügbaren Karten hätte ich durchaus mal einen Blick riskiert. Leider teilte mir der Ordner am Eingang mit, dass das Spiel ausverkauft sei. Aber immerhin konnte ich belustigt beobachten, dass eine stattliche Anzahl Fans aus Brugge erst weit nach Anpfiff in Mouscron eintraf und sich nun beeilte, sich irgendwie in den Block zu drängeln. Ich war nicht ganz so traurig, denn so hatte ich wenigstens genug Zeit, in Waregem noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Das Regenboogstadion liegt direkt im Stadtzentrum, malerisch im Stadtpark mit Ententeich. Ich wunderte mich nach dem Spaziergang schon mal vorsichtig, dass ich keine Kassenhäuschen sah. Ein angequatschter Ordner erklärte mir dann, dass es keine Tageskarten gäbe (Risikospiel und so), ich es aber mal im Fanshop versuchen sollte. Auch dort die gleiche Aussage – keine Tageskarten, die Typen aus Kortrijk würden mit Bussen geschlossen angekarrt werden, usw… Warum ich denn vor 3 Stunden online noch hätte Karten bestellen können, vermochte die Dame mir dann nicht zu erklären. Und wenn man schon nen extra Artikel auf seine Webseite packt, der sich „Ticketinfos“ nennt, hätte man ja mal schreiben können, dass es keine Tageskassen gibt. Aber das wäre ja am Ende noch professionell…


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    Die letzte Chance, noch ein Spiel zu sehen, wäre in Brüssel. Union Saint-Gilloise gegen KSV Roseleare, zweite Liga, so richtig schön atze. Nur das Problem an der Sache war, dass Saint-Gilloise normalerweise vor 1.500 Leuten kickt – im Nationalstadion! Fassungsvermögen 50.000 und die Trostlosigkeit dieser Veranstaltung schrie mir quasi entgegen „Tu! Es! Nicht!“ und so fuhr ich dann doch lieber nach Hause. Dass ich in Troyes ein 0:0 vor 10.000 Zuschauern verpasst habe, war irgendwie nur ein schwacher Trost…

    Nanakorobiyaoki

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  • Schöne Berichte, gibt es dazu noch ein Stadiontest?

    "Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag. Lass dich einfach von ihr tragen, denk am besten gar nicht nach"

    - Christian Drosten

  • An einem Brückentag vor zwei Feiertagen glaubt die Menschheit traditionell, dass ihr Ende nah ist. Ich hätte im Supermarkt beim Einkaufen mindestens 10 Leute ermorden und dann auf Notwehr plädieren können. Auch überhaupt wollte irgendwie jeder irgendwohin und da der Coach seine Karre verliehen hat (Autos verleiht man nicht. Frauen ok, aber Autos???), bat er mich darum, ihn abzuholen.



    Erste Blicke zog sein Koffer auf sich. Ja richtig, Koffer. Für eine Übernachtung. Dieser treue Reisebegleiter in Marineblau konnte unter anderem mit fein verarbeiteter Karostepp-Oberfläche und dazu passenden, lederfarbenen Absetzungen aufwarten und machte einen Gesamteindruck irgendwo zwischen Woolworth und Trödelmarkt. Stilecht baumelte noch ein Koffer-Anhänger von Graf Reisen dran – für die Nicht-Ruhrpottler, Graf ist ein alteingesessenes Busreise-Unternehmen, Zielgruppe 70+ und ich hätte zumindest erwartet, dass in dem Koffer noch eine vergessene Rheumadecke lauern würde. Als Alternative hätte er nur noch eine Aldi-Tüte gehabt, was aber immerhin zu seiner Ruhrpott-Herkunft gepasst hätte und wie sich später noch herausstellen sollte, war unser Coach mit diesem Koffer hervorragend für unser schmuckes Etablissement ausgerüstet, denn der Teppich und die allgemeine Zimmereinrichtung fügten sich nahtlos in das Gesamtbild, das der Koffer auszulösen vermochte.



    Aufgrund der schon angesprochenen Verkehrssituation musste Hannoi ne halbe Stunde vor meiner Tür ausharren und natürlich waren Staus und Idioten sofort außerhalb Essens wie weggeblasen. So konnten wir gemütlich nach Worms zuckeln, was vollkommen ereignisfrei verlief. Kurz vor dem Ziel fragte mich der Coach in voller Ernsthaftigkeit, ob ich wüsste, wofür das Kennzeichen WO denn stehen würde. Ja, wusste ich und ich habe es ihm sogar verraten. Kurz darauf klingelte mein Telefon und das Hotel meldete sich, wann wir denn kommen würden. Es war 17.30 und ich hatte angegeben, dass ich zwischen 16 und 17 Uhr anreise. Junge, atme doch mal locker durch die Hose, wir sind doch in 10 Minuten da. Das Hotel selbst lag in einem Stadtteil von Worms, genauer gesagt im idyllischen Stadtteil Leiselheim. Mehr als Idylle gibt’s da auch nicht und nach kurzer Suche und der Feststellung, dass man lieber eine Machete mitgenommen hätte, fanden wir auch den Eingang. Dort begrüßte uns auch schon der Hotelmensch, wohl der Eigentümer, nennen wir ihn mal Hans Meiser. Wobei „begrüßen“ auch nicht ganz hinkommt. Er machte uns mit seinem Blick deutlich, dass er Verspätungen nicht so zu schätzen weiß. Die Zimmer wollte ich mit Kreditkarte zahlen, aber Hans Meiser hatte keinen Empfang auf seinem wireless Kartenleser und auch eine kleine Wandertour vor die Tür mit dem Gerät, konnte dieses nicht zum Arbeiten überreden. Auch die EC-Karte wollte das Ding nicht und auf meine Frage, was denn nun seine nächste Idee wäre, kam nur ein „müssen Sie doch wissen, sind doch nicht meine Karten“. Keule, wenn dein Kartenleser nicht funktioniert, weil du in deinem Schuppen ein Netz wie in Burkina Faso hast, ist das garantiert nicht meine Schuld. Um weitere Diskussionen zu vermeiden und dem Harndrang meiner Mitreisenden Rechnung zu tragen, zahlten wir lieber bar. Er versuchte aber immerhin noch, uns Zimmer mit Balkon anzudrehen, auf Kuzzes Nachfrage, ob das extra kosten würde, kam dann „Selbstverständlich. Was denken Sie denn?“ Du unfreundliches Arschloch gehst am besten pleite! Aber immerhin könnte er das Frühstück so aufschreiben, dass es nicht auf der Rechnung auftauchen würde. Blöd nur, dass wir gar kein Frühstück gebucht haben. Aber er hätte es doch...



    Irgendwie hatte Hannoi dann doch ein Balkonzimmer für lau, dafür wurde er aber mit einem Eintracht-Braunschweig-Zimmer bestraft (blau-gelbe Tapeten), während mein Zimmer mit der Recamiere und dem rot-gelb gemusterten Teppich etwas aussah, wie ein Salonwagen der russischen Zarenzüge. Ebenfalls russisch war das Bett, das hätte auch so in einem sibirischen Pritschenlager stehen können. Als Krönung hatte ich ein Oberlicht im Zimmer und so war es auch nachts angenehm hell, wenn mal wieder jemand das Flurlicht bemühte.


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    Nun ging’s nach Worms und erstmal musste ein Geldautomat gesucht werden. Praktischerweise befand sich dieser direkt neben einem griechischen Restaurant und da wir eh Hunger hatten und uns nicht auf das Angebot im Stadion verlassen wollten, wurde das Ding geentert. Die beiden waren ganz aus dem Häuschen, dass man in der Kiste noch rauchen durfte, aber ihre spontanen Liebesbekundungen an Rheinland-Pfalz wurden nach Verköstigung des heimischen Bieres gleich wieder revidiert.


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    Zum Stadion waren es dann nur fünf Autominuten und dort wurden wir Zeuge eines grauenhaften Fußballspiels, das sich Kuzze mit Glühwein schöngesoffen hat, denn „Bier aus grünen Flaschen schmeckt nie!“ Ok, es ist ein Spielbericht, also schreibe ich auch was zum Spiel. Die erste Halbzeit war wirklich, wirklich, wirklich zum Vergessen, es gab nur eine ernsthafte Torchance durch einen Weitschuss von Krebs. Ja, genau, Gaetan Krebs. Später wurde noch Edmond Kapllani eingewechselt. Die zweite Halbzeit war munterer, mit deutlichen Vorteilen für Elversberg und mehreren Chancen, das Siegtor zu machen. Wormatia hat sich das Treiben lange angeschaut, um dann in der 87. Minute das 1:0 zu machen. Wie, das wussten sie wohl selber nicht genau, aber irgendwie kam der Ball auf’s Tor und der Torwart nicht schnell genug runter und dann war der Ball halt drin und die Mehrzahl der 1.002 Zuschauer (- gefühlt 50 Groundhopper) war aus dem Häuschen. Das war’s dann auch schon vom Spiel und wir beeilten uns, aus dem schweinekalten Stadion in unsere Absteige zu fahren, wo wir den Abend auf Hannois Balkon ausklingen ließen. Dank der Party gegenüber hatten wir sogar gute Musik.


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    Die Nacht war früh zuende, denn die Matratze ließ einen längeren Schlaf nicht zu und auch duschen wollte man in der Kiste nicht länger als nötig. Praktischerweise waren die anderen beiden auch schon wach und so machten wir uns daran, irgendwo ein Frühstück zu organisieren. Im Dorf selber war da tote Hose, der Dorfbäcker hatte am Feiertag keine Lust auf Umsatz. Also wieder nach Worms, aber auch da war nix los. Erst nach 20 Minuten fanden wir etwas, dafür aber gleich zwei offene Bäcker nebeneinander, wobei wir uns für den entschieden, wo mehr los war. Also wo 10 Leute drin waren, statt gar keiner. Dabei hat sich herausgestellt, dass wir von Bäckern im Ruhrpott ziemlich verwöhnt wurden. Der Kandidat in Worms hatte zur Auswahl: Salami, Kochschinken, Käse, Süßkram, aus. Das Alles wurde von einer bemitleidenswerten Aushilfe (?) zusammengestellt, die hilflos überfordert war und hinter deren Tresen ich mich nach 5 Minuten besser auskannte, als sie selber. Ihre Kollegin war ebenfalls großartig, auf meine Frage, was man denn bei so einem Frühstück alles bei hat (das Wort Frühstücksteller wurde nicht auf der Tafel erklärt – war halt Aufschnitt), fing sie an, mir die aushängende Karte vorzulesen. Danke, aber das habe ich gerade noch so hingekriegt.


    Da wir nun massig Zeit hatten, schlug ich vor, die ca. 120 km nach Koblenz ohne Autobahn nur auf Landstraßen zurückzulegen, was vor allem von Kuzze argwöhnisch kommentiert wurde. Hinterher spätestens auf der B9 von Bingen nach Koblenz ist er aber aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen. Bis man allerdings erstmal in Bingen ist… Heiliger Vater, das ist schon eine verdammte Weltreise durch entlegenste Käffer, noch mehr Kreisverkehre und Rebstöcke über Rebstöcke. Schön ist es aber und die ganze Tour hat mich etwas an die Fahrt von Lyon nach Feurs damals erinnert.


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    Dank des Umwegs waren wir erst ne Stunde vor Anpfiff am Stadion und mussten da gar nicht so viel Zeit totschlagen. Das Spiel war um Längen besser als das am Vortag, Koblenz hat in der Saison zwar erst zwei Spiele gewonnen, spielte die Ulmer in der ersten Halbzeit aber fast an die Wand. Die logische Konsequenz war das 1:0 kurz vor der Pause, das aber von der Abwehr Marke Scheunentor gut 20 Minuten später wieder zunichte gemacht wurde. Das 1:1 gab nun den Ulmern Aufwind, die in den folgenden Minuten zu einigen hochkarätigen Chancen kamen. Aber deren Torwart faustete den Ball gut 10 Minuten vor Schluss vor die Füße eines Koblenzers, der sich herzlich mit dem 2:1 bedankte. Aber das war’s noch immer nicht, denn dank einer amtlichen (und sehr unterhaltsamen) Rudelbildung gab es 4 Minuten Nachspielzeit und die dritte davon nutzte Ulm für den abermaligen Ausgleich. Irgendwie hatte Koblenz trotz der 2:1-Führung keine Lust zu verteidigen und die Abwehr konnte sich nur mit einem Foul helfen, nachdem gefühlt 20 Ulmer frei auf deren Tor zu liefen. Den anschließenden Freistoß köpfte Janik Michel zum Ausgleich ein und die ca. 100 mitgereisten Ulmer, die ansonsten nur durch irgendwelche „Zigeuner“-Gesänge auffielen, rasteten kollektiv aus.

    Nanakorobiyaoki

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